Asozial

*Aus der Geschichtenwerkstatt*

Krass. Du sitzt in einem Café, liest ein Buch. Plötzlich schießt aus dem Nichts ein Mensch hervor, greift tief in seinen verbalen Dreckkübel hinein und bewirft dich mit seinen Fundstücken. Was geht hier vor? Du kennst ihn, kennst ihn auch so, wie er sich gerade gebärdet, doch ist die Geschichte ewig her, lange auserzählt, gestorben und begraben. Die Gefahr gebannt.

Glaubst du.

Und was machst du daraus? Du denkst dir das:

Sein Shit, nicht meiner. Ich habe meinen Shit aufgeräumt, habe meine Geschichte aufgeschrieben und bin jetzt damit erfolgreich, sie weiterzuerzählen. Das tut gut, es hilft bei der Heilung, es schließt die Wunden und gibt Kraft für Neues. Was ihn triggert, wenn er mich nur sieht, geht mich nichts an. Es ist – siehe oben – sein Shit.

Das große Wort ist ASOZIAL. Er gebraucht es gern gegen mich. Das hat ihm wehgetan, damals, als ein Spielkamerad ihn und seine Familie so bezeichnet hat, dass er seine Mutter danach gefragt hat, was es bedeutet. Und sie hat zum Telefonhörer gegriffen und die andere Mutter zur Rede gestellt. Doch die Scham darüber ist ihm geblieben, die panische Angst, bloßgestellt zu werden, und der stille Sozialneid hat sich in die Kinderseele von damals eingebrannt.

Asozial ist etwas Schlimmes, das ist ein No-Go, das darf man nicht sein. Denn sonst steht man am Rand der Gesellschaft, da, wohin er mich jetzt in seinem Weltbild platziert. Aber es gibt viele Gesellschaften, und in diese will ich ja gar nicht hinein. Ich versuche nicht mehr, everybody’s darling zu sein, seiner bin ich sowieso nicht (mehr). Ich habe genug von den Beschimpfungen, den Unterstellungen, den Unwahrheiten, die über mich verbreitet wurden, nur damit ein Bild aufrechterhalten wird, das niemandes Realität reflektiert.

Was sollte mich das also kümmern, dass ich in seinen Augen asozial bin? In seiner Gesellschaft herrscht so viel Falschheit, so viel Kälte, so viel Selbstgerechtigkeit und Kleingeistigkeit. Und Denunziantentum und Bigotterie. Dort ist kein Platz für mich.

Und siehe da: Lesen und stilles Kaffeetrinken wird schließlich als Provokation ausgelegt.
 

Photo credits: AI – Thanks, machine.