Auf der Höhe

Der Bus fährt eine enge Passstraße hinauf, irgendwo in den Bergen. Die Sonne scheint, der Bus ist voller Passagiere, Ausflügler, alles junge Leute. Ich höre Lachen, sehe glückliche Gesichter. Ich sitze weit vorne, zwei Reihen hinter dem Busfahrer. Ein kleiner Mann, er trägt eine kurze Hose, abgewetzt, dazu derbe Bergstiefel und ein kurzärmliges Hemd. wie kann er mit diesen Stiefeln den Bus fahren kann, denn er spürt das Pedal unter seinem Fuß ja nicht. Er wird es wissen, wird wissen, was er tut, denke ich, und dann nicht mehr daran.

Der Busfahrer hat gute Laune, ständig dreht er sich zu den Fahrgästen um, erklärt irgendwas. Starker Dialekt, ich habe Mühe, ihn zu verstehen. Ich bin angesteckt von all der Fröhlichkeit um mich herum.

Der Bus ist sehr alt, war bestimmt schon sehr oft hier oben. Ich schaue aus dem Fenster: rechts von mir der steile Abhang. Wir in den Händen eines Mannes, der fröhlich ist. Etwas zu fröhlich ist. Er dreht sich wieder um. Die Straße wird breiter, eine Ausweiche, wir bleiben stehen. Der Abhang nur Zentimeter neben unseren Reifen. Ich schalte meine Fantasie aus, sie hat keinen Halfter, keine Zügel.

Ein Resümee: Ich bin 56. Ich bin Mutter. Ich habe einen guten Mann. Ich habe mehrere Berufe. Ich bin gesund, habe Geld. Wenn es jetzt zu Ende wäre. Ich hatte genug, mehr als andere.

Der Gegenbus hat uns passiert, unser Bus ruckt an und schleicht die Schotterstraße hinauf. Der Fahrer schaltet, der Bus ächzt.

Einem Passagier ist übel, sein Begleiter ruft nach vorn und bittet den Fahrer anzuhalten. Der Fahrer grinst weiter, nickt. Wir nähern uns gerade einer Almwiese. Der Fahrer hält an, die Person eilt zum Ausgang, schafft es gerade und übergibt sich mit grünlichem Schwall. Ich wende mich ab. Nicht sehen wollen.

Der Fahrer stellt den Motor ab, mit großer Kraftanstrengung zieht er die Handbremse an. Wir stehen schräg, das Hinterteil des Busses in Richtung Tal.

Einige andere steigen jetzt auch aus, ich bleibe sitzen, schließe die Augen.

Ein Ruck geht durch den Bus, ich öffne die Augen, sehe den Fahrer. Grinst nicht mehr. Der Bus rollt, rückwärts, talwärts. Der Fahrer zieht an dem riesigen Handbremshebel, der ist in der höchsten Position. Er tritt auf die Bremse, versucht, den Motor zu starten. Der Bus rollt, nimmt Fahrt auf. Die Felswände rauschen an uns vorbei. Schreie, Durcheinander. Ich bin still.

Das werden wir nicht schaffen. Das kriegen wir nicht hin.

Diesmal habe ich wohl kein Glück mehr.

Ich schließe die Augen. Ich denke an meine Kinder.

Und erwache.

Photo credits: Caleb Martinez on unsplash.com – Thanks, Caleb!