Geschichten findest Du überall. Du kannst Dich weiter erinnern und Deine Erinnerungen zu Papier bringen. Familienfeiern sind immer großartig: wer hatte nicht diese eine Tante, die immer ein bisschen zu laut lachte, immer ein bisschen zu viel trank und dann bei einem der Gäste auf dem Schoß landete? Oder den Cousin, Musterschüler, einziger Sohn der anderen frustrierten Tante, die allen anderen die große Zukunft schilderte, die ihrem Sohn bevorstand? Der Onkel, der kaum sprach, als Einsiedler lebte und dessen Umgang Anlass zu den wildesten Gerüchten gab? Ich könnte noch weitermachen mit den Beispielen aus meiner eigenen Familie (meine ich das wirklich ernst? ) … aber ich bin sicher, Du verstehst schon, worauf ich hinaus will: auf Deinen Perspektivwechsel. Sei jetzt diese Person Deiner Wahl, schildere, wie sie die Feier erlebt, ob ihre Erwartungen erfüllt werden. Was passiert mit ihr nach der Feier? Geht sie froh und beschwingt nach Hause, genervt von der meschuggenen Mischpoke, mit dem festen Vorsatz, nie wieder an so einer Familienzusammenkunft teilzunehmen?
Es macht Spaß, sich vorzustellen, jemand anders zu sein. Und dann auch noch darüber zu schreiben. Lass einfach Deiner Fantasie freien Lauf. Was für mich immer gut funktioniert, ist, wenn ich Dingen einen Namen gebe, sie sozusagen vermenschliche. Und sie dann auch so behandle. In einem Hotelzimmer entdeckte ich vor Jahren eine Küchenschabe. Sie war ziemlich groß, und ich habe einen fürchterlichen Schreck bekommen. Mein erster Reflex war, mit irgendetwas zuzuschlagen und sie zu töten. Ich habe sie mir dann genau angesehen, und aus der Nähe war sie nicht mehr so eklig. Noch weniger, nachdem ich sie Ursula getauft hatte (alle Ursulas, die das jetzt lesen, bitte ich schon vorab um Entschuldigung: Ihr seid natürlich nicht gemeint und Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.). Wir haben eine wunderbare Woche miteinander verbracht. Am Anfang der zweiten Woche war Ursula dann verschwunden. Das war eine Enttäuschung. Noch oft habe ich mich gefragt, ob wohl eines der Zimmermädchen sie auf dem Gewissen hat. Wer weiß… Doch möchte ich auch noch auf Karl-Heinz eingehen. Mit ihm verhält es sich so:
Ich habe eine Beziehung mit meinem Basilikum.
Es begann damit, dass ich ihm einen Namen gegeben habe: Karl-Heinz. Er passte einfach. Im Moment der Taufe habe ich nicht bedacht, dass ich einen Nachbarn mit diesem Namen habe. Der wird allerdings Kalle genannt, sonst wäre es mir ja gleich aufgefallen. Denk ich mal. Aber Kalle wohnt weiter vorn im Haus und verirrt sich selten dorthin, wo mein Basilikum jetzt wohnt. Also kann er auch nicht Anstoss an meiner Namenswahl nehmen. Hoffe ich mal.
Vor meiner Eingangstür schwächelt Karl-Heinz eigentlich schon seit dem dritten Tag nach dem Kauf vor sich hin. Selbstverständlich habe ich gegoogelt, was ich für ihn tun kann, damit er seine Blätter wieder aufrichtet und meinetwegen auch die gekräuselten, langsam vor sich hinwelkenden abstößt. Kaffeesatz lautete ein Tipp, den solle man trocknen und dann um die Pflanze herum auf die Erde krümeln.
Was aber, wenn Karl-Heinz eher Teetrinker ist? Oder wenn sein Arzt ihm vom übermäßigen Kaffeegenuss abgeraten hat? Würde ich seine Lage nicht weiter verschlimmern? Zum einen, weil seine Laune in den Keller geht (und dank Voltaire wissen wir ja, dass es der Gesundheit zuträglich ist, glücklich zu sein), zum anderen, weil ich seine gesundheitlichen Probleme noch verschlimmere?
Ich habe Karl-Heinz gefragt. Im selben Moment warf er ein Blatt ab. Was sollte ich davon halten? Ist es eine Bestätigung für mich, mit der Therapie fortzufahren (“Ja! Schau, ich mach mich hübsch für dich!”), oder aber ein Verzweiflungsschrei einer ohnehin dem Tod geweihten Nutzpflanze? Unsere Kommunikation ist stark verbesserungswürdig.
Wie dem auch sei, ich muss wohl noch etwas Geduld aufbringen.
Karl-Heinz kommt aus Spanien, so stand es an seinem Topf.
Ich lerne jetzt Spanisch.
Was sollte ich auch sonst tun?
Happy writing – und schreibt mir gern: astrid@textfactory.org!
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